Transplantationsbeauftragte am BG Klinikum Hamburg

Organspende: (lebens)wichtige Entscheidung – oft verpasste Chance

Eine Organspende rettet Leben, weiß die Transplantationsbeauftragte des BG Klinikums Hamburg Dr. med. Willenbrock. Am Tag der Organspende wird bundesweit auf die Bedeutung des Themas aufmerksam gemacht.

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02.06.2023 BG Klinikum Hamburg

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Christiane Keppeler

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Eine Organspende rettet Leben. Dr. Ute Willenbrock, Oberärztin im Bereich Anästhesie-, Intensiv-, Rettungs- und Schmerzmedizin sowie Transplantationsbeauftragte am BG Klinikum Hamburg hat dies viele Male selbst miterlebt: „Während meiner Zeit am Transplantationszentrum gab es einen jungen Mann, der sich beim Sport schwer verletzte, es kam zum Hirntod. Die Eltern entschieden sich für eine Organspende. Sein Herz wurde einem anderen jungen Mann transplantiert, der einen Herzfehler hatte. Diese Entscheidung schenkte ihm das Leben“, erinnert sich Dr. Willenbrock und fasst die Bedeutung zusammen: „Eine Organspende rettet anderen Menschen das Leben, wenn diese ohnehin verstorben wären.“

Eine gute Sache – das finden auch viele andere. Umfragen zufolge1 sprechen sich mehr als 80 % der Deutschen für eine Spende aus.  Das Problem: Die grundsätzlich positive Einstellung findet sich in der Praxis nicht wieder, im Gegenteil. Hier treffen lange Wartelisten auf immer weniger Spendende aufgrund fehlender Entscheidungen. Der Tag der Organspende am 03.06.2023 betont auch in diesem Jahr wieder die große Bedeutung dieses Themas.

Viele Menschen versterben auf Wartelisten

Warum viele Expertinnen und Experten von einer „katastrophalen Entwicklung“ sprechen, zeigt ein Blick auf die aktuellen Zahlen. So wurden im vergangenen Jahr 2.662 Organe gespendet2. Dieser Wert markiert einen neuen Tiefstand und liegt sogar weit unter denen des Jahres 2013. Wer sich erinnert: Hier wurden in verschiedenen Transplantationskliniken in Deutschland Manipulationen, vor allem hinsichtlich der Wartelisten, aufgedeckt.

Aktuell kommen nur 10,3 Spendende auf eine Million Einwohner. Das führt zu einer bisher nie dagewesenen Knappheit: „Der Bedarf ist unbedingt da. Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig, während die Empfängerlisten länger werden“, weiß Dr. Willenbrock. Über 8.500 Menschen stehen aktuell auf einer Warteliste3. Organimporte aus dem Ausland nach Deutschland fangen einen Teil der Nachfrage auf. Trotzdem werden viele versterben, bevor sich Spendende finden. Neben einem zunehmenden Medianalter der potentiellen Spendenden und damit einhergehenden medizinischen Kontraindikationen drückte die Corona-Pandemie sichtbar auf die Zahlen. Der Hauptgrund jedoch ist ein anderer und für alle, die auf Organe warten oder am Spendenprozess beteiligt sind, sehr frustrierend: In vielen Fällen gibt es potentielle Spendende, aber keine dokumentierte Zustimmung.

In Deutschland ist Nichtspenden der Normalfall

Vonseiten der Politik wurden bereits viele Maßnahmen angestoßen, um der Entwicklung entgegenzuwirken. Vor allem das Organspenderegister, in dem online die Entscheidung für oder gegen eine Spende dokumentiert ist, wird als wichtiger Baustein gesehen. Nur krankt der für März 2023 vorgesehene Start aktuell noch an der Umsetzung. Bei der Debatte um den Rückgang der Spendendenzahlen fällt zudem immer wieder ein Wort: die Widerspruchslösung. Sie besagt, dass grundsätzlich jeder Mensch im Falle eines Hirntods zum Spendenden wird, wenn sich nicht ausdrücklich dagegen entschlossen wurde. Im Unterschied zum Register müssen sich somit alle zumindest einmal im Leben mit dem Thema Organspende beschäftigen – es entsteht keine Arbeit, um Spender/-in zu werden, sondern nur, um nicht zu spenden. Andere Länder führen diese Regelung seit langem. Tatsächlich ist Deutschland (weltweit sogar) das einzige Mitglied von Eurotransplant, dem Netzwerk europäischer Länder, die Spenderorgane vermitteln, mit einer Entscheidungslösung.

Verpasste Chancen durch fehlende Entscheidungen

Hierzulande wird also nur die Person zum Spendenden, die sich ausdrücklich dazu bekennt – und zwar schriftlich, klassischerweise im Organspendeausweis. Erfolgt das nicht, zählt der mutmaßliche Wille der/des Verstorbenen. Und genau dort beginnt eine Kausalkette mit einem entscheidenden Problem: Organspende wird als Entscheidung am Lebensende gesehen. Im vergangenen Jahr hatten nur rund 15 % der potentiellen Spendenden in Kliniken ihre Entscheidung dokumentiert. Kennen Angehörige den Willen der/des Verstorbenen nicht und müssen nach eigenen Wertevorstellungen entscheiden, erfolgt in fast 80 % keine Zustimmung. Ist hingegen zumindest der mutmaßliche Wille bekannt, liegt die Zustimmung bei über 50 %4.  Dr. Willenbrock erlebt dies im Alltag regelmäßig: „Die meisten beschäftigen sich mit dem Thema Organspende gar nicht und sprechen auch mit Angehörigen nicht darüber. Diese entscheiden sich im Zweifelsfall dann oft dagegen. Manchmal finden wir keine Angehörigen. Dann dürfen wir laut Gesetz nicht explantieren. Es gibt auch Fälle, in denen wir im Nachhinein erfahren, dass eine Person eigentlich doch spenden wollte.“

„Verpasste Chancen“ nennt Dr. Willenbrock diese Fälle. Damit das zukünftig nicht mehr passiert, braucht die Organspende dringend einen Paradigmenwechsel – dafür gibt es nur eine Lösung: „Ich würde mir wünschen, dass sich viel mehr Menschen mit dem Thema auseinandersetzen. Wir brauchen eine Kultur der Organspende. Es geht dabei nicht darum, dass jeder zum Spender wird. Aber wir brauchen Entscheidungen. Wichtig ist auch, dass mit Angehörigen gesprochen wird. Denn diese sind es heute in den meisten Fällen, die über eine Spende entscheiden.“

Das vollständige Interview mit Dr. Willenbrock finden Sie auf dem YouTube-Kanal des BG Klinikums Hamburg.

1Vgl. Schmedt, M. (2023): Nichtspenden ist der Normalfall. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 120, Heft 4, 27. Januar 2023

2Vgl. Schmedt, M. (2023): Nichtspenden ist der Normalfall. Deutsches Ärzteblatt

3Vgl. Schulze, A. (2022): Kultur der Organspende schaffen. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 45, 11. November 2022

4Vgl. Rahmel, A. (2023): Widerspruchslösung wäre ein wichtiges Signal. Online unter: www.kma-online.de/aktuelles/medizin/detail/widerspruchsloesung-waere-wichtiges-signal-49831