
Plastische Chirurgie unter extremen Bedingungen
Dr. Joachim Gröschel ist Anästhesist an der BG Klinik Ludwigshafen. Seit mehreren Jahren engagiert er sich ehrenamtlich bei der Hilfsorganisation Interplast.
Dr. Joachim Gröschel verbringt einige seiner Urlaube damit, in medizinisch unterversorgten Regionen dringend benötigte Spezialoperationen durchzuführen. Im Oktober war er mit mehreren Kolleginnen und Kollegen, darunter auch weitere aus der BG Klinik Ludwigshafen, in Malawi. Über den Einsatz berichtet er hier:
Die Krankenhäuser in Chitipa und Kaseye im Norden Malawis werden von Interplast Teams der Sektion Siebengebirge seit Corona wieder regelmäßig besucht. Ich bin Anästhesist an der BG Klinik Ludwigshafen und kam im Oktober 2022 zu meinem fünften Einsatz für Interplast. Diesmal waren dabei Leila Harhaus, Plastische Chirurgin an der BG Klinik in Ludwigshafen, zusammen mit Piotr Czarnecki aus Poznan in Polen, Unfallchirurg und Orthopäde. Beide auch erfahrene Handchirurgen. Angelika Möhrer, Krankenschwester an der BG Klinik Ludwigshafen, war zum dritten Mal dabei und arbeitete ihren Kollegen Sascha Jurinic in die OP-Pflege ein. Insbesondere die Sterilisationsprozesse erfordern ein hohes Fachwissen und waren diesmal besonders kritisch, da es eine Reihe von Infektionen im Vorfeld gegeben hatte. Mit von der Partie war auch Astrid Armbrust, die als Anästhesistin und ehemalige BG-Klinik-Mitarbeiterin, das Team unterstützte.
Abenteuerliche Anreise
Die weltweite Energiekrise machte auch vor Malawi nicht halt, was dazu führte, dass Treibstoff meist nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen war. Auf der Hinreise blieb ein Teil unseres Teams aufgrund defekter Tankanzeige, massiv erhöhten Spritverbrauchs des Fahrzeugs und infolgedessen eines leeren Tanks liegen und musste sich im nächsten Dorf mit Benzin versorgen. In leeren Speiseölbehältern wurde das Benzin literweise aus den Hütten zusammengetragen und für €2,50 statt für €1,70 verkauft.
Der allgegenwärtige Mangel war im Krankenhaus besonders drastisch zu spüren. Es konnte nur operiert werden, wenn Benzin für den Stromgenerator gekauft wurde, tagelang gab es kein Leitungswasser, bis wir die Rechnung des Wasserwerks beglichen. Spritzen, Handschuhe und Spinalkanülen waren zeitweise nicht vorhanden. Aufgrund des Personalmangels hatten wir bis auf die Reinigungskräfte fast keine Unterstützung.
Vertrauen der Ärzte vor Ort gewonnen
Erfreulich war, dass wir durch die tägliche Präsenz in der Frühbesprechung mit den Ärzten vor Ort, bei der wir von den operierten Patienten berichteten, Vertrauen gewinnen und Wissen weitergeben konnten. So wurde Piotr Czarnecki eingeladen, einen Vortrag über Handverletzungen und Handchirurgie zu halten, der sehr positiv aufgenommen wurde. Für während der Besprechung berichtete Problempatienten boten wir Hilfe an. So wurde uns eine junge Frau fünf Tage nach der Entbindung vorgestellt mit Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose, die mittels unseres portablen Ultraschalls bestätigt werden konnte.
Von gewöhnlichen Krankheiten und außergewöhnlichen Schicksalen
Insgesamt wurden von uns 29 Patienten operiert und zahlreiche mehr gesehen. Darunter waren neun Kinder. Neben den üblichen Lipomen und Hauttumoren gab es wieder eine Reihe spannender Fälle.
Etwa der des älteren Mannes, der vor zehn Jahren von seiner Frau in den linken Unterarm gebissen worden war. Darauf entwickelte sich eine chronische Wunde, die auch mehrfach operiert wurde. In der Folge entwickelten sich derartige Kontrakturen, dass Hand und Finger so überstreckt waren, dass die Hand nicht mehr zu benutzen war. In einer aufwendigen Operation konnten wir die Funktion teilweise wieder herstellen.
Ein zehnjähriges Mädchen übernahmen wir von unserem Vorteam. Durch eine Verbrennung im Bauchbereich hatte sich ein schmerzhaftes Keloid, eine weit über die eigentliche Wunde hinaus wuchernde Narbe, entwickelt, so dass sie nur noch gebückt laufen konnte und gar nicht mehr zur Schule ging. Das Keloid wurde vom Vorteam entfernt und die Wunde mit einem vom Körper abbaubaren Gewebe (Mesh) gedeckt. Doch diese erste Operation reichte nicht aus. Wir mussten noch einmal weiteres abgestorbenes Gewebe entfernen und die Stelle erneut abdecken. Ein aufrechtes Stehen war damit theoretisch wieder möglich, doch bis das Mädchen wieder normal laufen kann, ist intensive Physiotherapie nötig.
Manche Schicksale berühren besonders. So etwa das eines Jungen, der 14 Tage zuvor vom Baum gefallen war. Er hatte unter anderem einen gebrochenen Oberarm. Es vergingen Tage, bis ein Röntgenbild im benachbarten Krankenhaus angefertigt worden war. Wir sahen zunächst keine Möglichkeit, zu operieren. Doch schließlich entwickelte der Junge Fieber, das wir nur auf die Verletzung am Oberarm zurückführen konnten. In unserem OP in Kaseye planten wir diese OP, da nur dort eine intraoperative Durchleuchtung möglich war. Nach Schnitt entleerte sich rund ein Liter Eiter, der die Ursache für das Fieber war. Zum Glück konnten wir dem Jungen eine dringend benötigte Bluttransfusion verabreichen. Doch selbst mit der sich anschließenden Antibiotikatherapie hat der Junge einen noch langen Weg vor sich.
Tragbarer Ultraschall macht etliche Vollnarkosen überflüssig
Anästhesiologisch bewährte sich unser portabler Ultraschall mehrfach. So mussten von den 29 Operationen lediglich drei in Vollnarkose gemacht werden, alle übrigen ließen sich mittels Regionalanästhesie, Lokalanästhesie und Spinalanästhesien durchführen. Extrem wertvoll waren auch das mitgebrachte Videolaryngoskop und der mobile Gasmonitor, die beide innerhalb von Interplast ausgeliehen werden können.
Wissensaustausch zur Nachsorge
Unsere traditionelle Get-together-Party, bei der wir den Informationsaustausch fördern möchten, war ein durchschlagender Erfolg und wurde von allen Seiten begeistert gelobt. Aufgrund von Vorgaben durch die malawische Ärztekammer widmeten wir uns diesmal stärker dem Thema Nachsorge der Patienten. So baten wir den Ärztlichen Direktor, uns Clinical Officers zu benennen, die unsere Patienten betreuen werden. Mit den beiden machten wir eine gemeinsame Übergabevisite am letzten Tag zusammen mit einer schriftlichen Liste und einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe. Eine Reihe unserer Patienten benötigte intensive Physiotherapie zur Sicherung des OP-Ergebnisses. Wir lernten, dass im Chitipa Hospital vier Krankengymnasten arbeiten, auch diese banden wir in die Nachsorge ein und spendeten ihnen einige Unterarmgehstützen. Ihre Ausstattung war insgesamt sehr spärlich. Untersuchungsliege, Achselgehstöcke, ein Pezziball und eine Trittstufe.
Rückflug knapp verpasst
Die Abreise war leider mit großen Problemen behaftet. Drei unserer Teammitglieder mussten den Weg über Tanzania und Dar-es-Salaam nehmen. An der malawisch-tanzanischen Grenze wurden die Papiere des Fahrers nicht akzeptiert und unser Fahrzeug benötigte eine Versicherung, die nur mit erheblichem Zeitverzug zu bekommen war. Erst nachdem mit Kaffeegeld nachgeholfen wurde, konnte die Fahrt fortgesetzt werden. Die vermeintliche Abkürzung zum Flughafen in Mbeya stellte sich als Sackgasse heraus, da ein Erdrutsch die Straße versperrt hatte. So wurde der Flieger knapp verpasst. Die Ersatzflugtickets waren teuer und die Kolleginnen und Kollegen kamen erst zwei Tage später zum Glück wohlbehalten nach Hause.
Autor: Gastautor Dr. Joachim Gröschel
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