Klinische Langzeitfolgen einer Intensivbehandlung

Diagnosestellung und klinische Langzeitbeobachtung sind essentiell

 

BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum

01.04.2022

C.H. Meyer-Frießem, N.M. Malewicz, S. Rath, M. Ebel et al.

 

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Was bisher bekannt ist

Die erworbene Skelettmuskelschwäche nach Intensivbehandlung (ICU acquired weakness, ICUAW) stellt eine ernstzunehmende und kostenintensive Komplikation dar und gefährdet eine schnelle Rehabilitation und vollständige Genesung. Wissenschaftlich belastbare Informationen über Inzidenz und Langzeitfolgen dieses Syndroms sind unverändert rar.

Studiendesign und Resultate

Zwischen 2007 und 2017 wurden 1716 Patientinnen und Patienten bis 85 Jahren auf einer Intensivstation des BG Universitätsklinikums Bergmannsheil Bochum mindestens sieben Tage behandelt und davon wiederum mindestens drei Tage mechanisch beatmet. Von diesen verstarben nach Entlassung etwas mehr als ein Viertel (448 / 1716, 26 %). 1268 wurden angeschrieben. Zugestellt wurden 912 Briefe, 149 (109 Männer, 40 Frauen, mittleres Alter 63,5 (SD 13,1) Jahre) meldeten sich zurück und stimmten der Teilnahme an einem Telefoninterview zu. Die mittlere Nachbeobachtungszeit nach Intensivtherapie betrug 4,4 (SD 2,7) Jahre. Gründe für die Intensivbehandlung waren ein Trauma (einschließlich Brandverletzung), eine kardiale Erkrankung, eine Sepsis, ein Atemversagen und sonstige Indikationen bei möglichen Mehrfachursachen. Im Mittel wurden die Teilnehmenden 20,8 (SD 15,7) Tage intensivmedizinisch behandelt und 16,5 (SD 13,7) Tage invasiv beatmet.
Etwas über die Hälfte aller Interviewten (81 / 149, 54 %) lebt im Alltag unabhängig ohne Unterstützung, ein Viertel war berentet (39 / 127, 31 %).
Die Häufigkeit einer ICUAW betrug 95 / 149 (64 %, 95 % KI 55 – 71 %). Die Diagnose wurde lediglich bei 11 / 95 (12 %) Betroffenen zum Entlassungszeitpunkt gestellt. Im Langzeitverlauf litten 59 / 149 (40 %, 95 % KI 32 – 48 %) noch nach Jahren (mittlere Beobachtungszeit: 52,3 + 32,8 Monate) unter Symptomen. Diese umfassten Muskelschwäche, Parästhesien, Hypästhesien und Schmerzen. 
Die Lebensqualität war bei 42 / 57 (74 %, 95 % KI 60 – 84 %) Überlebenden mit persistierenden ICUAW-Symptomen beeinträchtigt, bei 17 / 57 (30 %, 95 % KI 18 – 43 %) schwer.

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken

Viele ehemals Intensivbehandelte leiden bis zu einem Jahrzehnt nach Entlassung an Sensibilitätsverlusten an Armen und Beinen, schmerzhaften Missempfindungen und motorischer Schwäche mit erheblicher Einschränkung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Auch wenn traumatische Ursachen in dieser Studie deskriptiv mit einer geringeren Häufigkeit von ICUAW assoziiert waren, sollten im Kontext der gesetzlichen Unfallversicherung Schwerverletzte mit langdauernder Intensivbehandlung und mechanischer Beatmung gegebenenfalls aktiv auf mögliche Langzeitfolgen hin nachuntersucht werden, um frühzeitig spezifische Rehabilitationsmaßnahmen einzuleiten.