Objektive Schmerzquantifizierung durch pupilläre Reflexdilatation bei Wachen

Eine Stimuli-randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie

 

BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum

28.10.2025

N.M. Malewicz-Oeck, N. Skorupka, F. Bartholmes, A. Dombrowski et al.

doi: 10.1097/EJA.0000000000002143

 

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Was bisher bekannt ist


Das objektive Monitoring der Schmerzwahrnehmung (Nozizeption) ist im klinischen Alltag von hoher Relevanz. Methoden wie die Messung der üblichen Vitalparameter, Herzfrequenzvariabilität oder Katecholaminspiegel wurden als nicht valide bewertet.
Unter Vollnarkose konnte der Einsatz der pupillären Reflex-Dilatation (PRD, Mydriasis) mittels Pupillometrie zur Quantifizierung der Nozizeption eingesetzt werden, um Opioide während kardiochirurgischer Operationen einzusparen, was wiederum zu einer Abnahme des Katecholaminverbrauchs und der postoperativen Schmerzintensität führte.
Unter Vollnarkose steht die Pupillendilatation in direkter Beziehung zur Schmerzstimulation. Im wachen Zustand wird die Pupillenreflexdilatation mutmaßlich von emotionalen Zuständen und der kognitiven Verarbeitung von Schmerzreizen beeinflusst. Es mangelt in diesem Szenario an kontrollierten Untersuchungen, um diese Vermutung zu bestätigen und den vielversprechenden Einsatz der PRD als reproduzierbares Instrument zur Schmerzquantifizierung an wachen Probanden zu stützen.

Studiendesign und Resultate


Ziel der vorliegenden Studie war es, zu untersuchen, ob die PRD bei wachen Probanden zwischen schmerzhaften und nicht-schmerzhaften Reizen differenzieren kann und ob die PRD mit der Schmerzintensität korreliert.
Diese Stimuli-randomisierte, Placebo-kontrollierte Untersuchung wurde nach positivem Ethikvotum und prospektiver Registrierung (DRKS00024791) im BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum durchgeführt. Eingeschlossen wurden 30 gesunde freiwillige Probanden im Alter von 25 ± 2 Jahren (50 % männlich). 
Nach einer Ruhephase wurden am ventralen Unterarm der Probanden ein unangekündigter elektrischer Schmerzreiz (UPS) sowie in zufälliger Reihenfolge ein angekündigter schmerzhafter Stimulus (APS), ein Placebo-Stimulus und ein nicht-schmerzhafter Stimulus (NPS) appliziert. Die maximale Pupillendilatation wurde sowohl unter Ruhebedingungen als auch über eine Dauer von 60 Sekunden nach Reizabgabe nach jedem der vier Stimuli gemessen.

Die Schmerzintensität wurde nach jedem Stimulus individuell auf einer numerischen Rating-Skala (NRS: 0 = kein Schmerz, 10 = stärkster vorstellbarer Schmerz) bewertet.
Der angekündigte schmerzhafte Stimulus (APS) verursachte eine hohe subjektive Schmerzintensität (6,0 ± 1,9). Der gleich starke, aber unangekündigte elektrische Schmerzreiz (UPS) wurde schwächer wahrgenommen (5,5 ± 1.7). Placebo- und nicht-schmerzhafte Stimuli wurden als nicht schmerzhaft wahrgenommen. Diese Unterschiede wurden größtenteils auch objektiv durch die Pupillendilatation wiedergegeben. Die PRD war nach dem APS signifikant höher als nach dem NPS. Der UPS löste die höchste Pupillendilatation aus (25 %) und zeigte einen signifikant größeren Effekt gegenüber Placebo (13,5 %) und NPS (13,0 %). Es wurde kein Unterschied der Pupillendilatation zwischen APS und UPS festgestellt, obwohl beide Reize, bei gleicher elektrischer Intensität, mit unterschiedlichen Schmerzintensitäten bewertet wurden. Darüber hinaus zeigte die PRD eine positive Korrelation mit der subjektiv wahrgenommenen Schmerzintensität (r = 0,35, P < 0,0001).

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken


Die Ergebnisse dieser Studie liefern erstmals wertvolle Erkenntnisse in Bezug auf die Beurteilung und Überwachung von Nozizeption und Schmerzen bei wachen Patientinnen und Patienten durch die PRD. Ihre Fähigkeit, zwischen schmerzhaften und nicht-schmerzhaften Stimuli zu differenzieren, könnte die Schmerzerfassung in Situationen verbessern, in denen subjektive Schmerzindikatoren versagen (etwa bei eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit, postoperativ und auf der Intensivstation unter Sedativa, alten, dementen und/oder schwerhörigen Menschen sowie bei Kindern). Die PRD hat das Potenzial, Schmerz auch bei Wachen objektiv zu messen und somit eine individualisierte, präzisere Analgesie zu ermöglichen. Die erhobenen Daten schaffen die Basis für weitere Studien mit definierten Patientenzielgruppen. Die Implementierung der nicht-invasiven PRD-Bestimmung als objektive Messmethode für Schmerzen in der klinischen Praxis könnte langfristig zu einer signifikanten Verbesserung der Schmerztherapie und somit auch der klinischen Versorgung und Rehabilitation beitragen.