Orthesen-freie Nachbehandlung nach vorderem Kreuzbandersatz

Keine Unterschiede im funktionellen Outcome im Vergleich zur Orthesen-basierten Rehabilitation

 

BG Klinikum Duisburg

01.10.2023

C. Schoepp, T. Ohmann, W. Martin, A. Praetorius et al.

doi: 10.3390/jcm12052074. PMID: 36902868; PMCID: PMC10004240.

 

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Was bisher bekannt ist

Die arthroskopische Ersatzplastik des vorderen Kreuzbands (VKB) gehört zu den zehn häufigsten Eingriffen am Bewegungsapparat weltweit. Während der post-operativen Rehabilitation wird zur externen Stabilisation des Kniegelenks oft eine Hartrahmenorthese verordnet, um das Transplantat vor übermäßigem mechanischem Stress zu schützen. 
Effektivität und Nutzen einer solchen Orthesen-basierten Nachbehandlung werden jedoch kontrovers diskutiert. Orthesen vermitteln besonders in der späten postoperativen Phase ein subjektives Stabilitätsgefühl, können aber insbesondere bei unsachgemäßer Anpassung und Anwendung zu Haut- und Weichteilschäden sowie Muskelatrophien führen. Es mangelt an klinisch-experimentellen Daten zur Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses einer postoperativen Rehabilitation mit oder ohne Hartrahmenorthese bzw. Alternativen wie Softorthesen nach VKB-Plastik.

Studiendesign und Resultate

In dieser von der DGUV-Forschungsförderung (FR 0251) unterstützten randomisierten unizentrischen Studie wurde untersucht, ob die Orthesen-freie der Orthesen-basierten Nachbehandlung nach VKB-Plastik mittels Hamstringsehnen-Transplantat nicht unterlegen ist. Als primäres Outcome wurde die Differenz im subjektiven International Knee Documentation Committee Score (sIKDC) ein Jahr nach dem Indexeingriff definiert. Das Protokoll beinhaltete post-operative klinische Erhebungen nach sechs Wochen sowie nach vier, sechs und zwölf Monaten. 


Neben dem sIKDC wurden der Tegner Activity Scale (TAS), der Lysholm Score (LS) und der Anterior Cruciate Ligament Return to Sports after Injury Score (ACL–RSI) erhoben, um die subjektive Kniefunktion, das Aktivitätsniveau und die mentale Bereitschaft für athletisches Training zu ermitteln. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mittels Short-Form 36 (SF36) dokumentiert.

 
Der objektive IKDC (oIKDC), Laxizitätsmessungen des VKB mittels Arthrometer und isokinetische Kraftmessungen der Oberschenkelmuskulatur ergänzten das Fragebogen-Inventar um reproduzierbare klinisch-mechanische Messparameter. 
Von 139 Teilnehmenden wurden per Zufall 71 der Orthesenfreien, 68 der Orthesen-basierten Kohorte zugeteilt. Von diesen konnten 56 (37 Männer, 19 Frauen, mittleres Alter 31,5 ± 10,8 Jahre) und 58 (37 Männer, 21 Frauen, mittleres Alter 33,2 ± 12,3 Jahre) über zwölf Monate nachbeobachtet werden. 
Basierend auf der a priori definierten minimal klinisch relevanten Differenz von 9,0 Punkten zeigten die Ergebnisse des sIKDC bei allen Visiten die Nichtunterlegenheit der Orthesen-freien gegenüber der Orthesen-basierten Gruppe. 


Auch in den sekundären Outcomes wurden keine Unterschiede zwischen den Interventionen beobachtet. Der Cut-off Wert des ACL–RSI für die Wiederaufnahme sportlicher Aktivitäten wurde in beiden Gruppen erreicht. Das isokinetische Kraftdefizit zwischen dem operierten und nicht-operierten Bein, gemessen anhand des Kraftdefizits bei maximalem Drehmoment und einer Winkelgeschwindigkeit von 60 Grad / s, ergab ebenfalls keine signifikanten Abweichungen zwischen beiden Studienarmen. 
Der Verlauf der oIKDC-Messungen legte einen rascheren Anstieg des Anteils von Probandinnen und Probanden mit normaler Kniefunktion in der Orthesen-freien Stichprobe nahe.

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken

Die Ergebnisse dieser Studie stützen die Hypothese, dass nach VKB-Plastik mittels Hamstringsehnen Transplantat die Orthesen-freie der Orthesen-basierten Rehabilitation in subjektiven und objektiven Outcome Indikatoren während der ersten 12 Monaten nach dem Index-Eingriff nicht unterlegen ist. 
Die Resultate werden voraussichtlich in evidenzbasierte Leitlinien einfließen und sollten zu einer kritischeren und individualisierten Verordnungspraxis von Knie-Orthesen in der Rehabilitation nach VKB-Ersatzoperationen führen. Da in dieser Studie aufgrund strikter Eignungskriterien Meniskusnähte, Knorpel- und weitere Band Rekonstruktionen ausgeschlossen wurden, bedarf es weiterer Untersuchungen, um die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf komplexere Kniegelenk-Eingriffe zu bestätigen.