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Osteosynthese versus Endoprothese bei Radiuskopffrakturen

Ergebnisse einer retrospektiven Kohortenstudie mit Propensity-Score-Matching

 

BG Unfallklinik Frankfurt am Main

15.06.2025

T. Jakobi, I. Krieg, Y. Gramlich, M. Sauter et al.

doi: 10.1302/0301-620X.106B10.BJJ-2024-0407.R1. PMID: 39348918.

 

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Was bisher bekannt ist

Frakturen des Radiuskopfes rangieren an Stelle 22 aller Frakturen in Deutschland (Rupp M et al. Dtsch Arztebl Int 2021 Oct 8;118(40):665-669.) und machen zwischen 20 und 30 % aller Brüche rund um den Ellbogen aus. Sie betreffen vorwiegend erwerbsfähige Erwachsene und können insbesondere die Umwendbeweglichkeit des Unterarms im Ellbogengelenk nachhaltig beeinträchtigen.
International hat sich neben der AO- die Mason-Klassifikation etabliert – bei Brüchen des Schweregrades ≥III mit mehreren Fragmenten und / oder Dislokation wird eine operative Therapie empfohlen.
Es herrscht unverändert Unsicherheit bzw. Uneinigkeit darüber, ob diese in einer offenen Rekonstruktion und internen Osteosynthese (ORIF) mit Schrauben-Platten-Konstrukten oder einem endoprothetischen Ersatz bestehen sollte. Bisherige (Netzwerk-) Meta-Analysen (zuletzt Haines S et al. J Hand Surg Asian Pac Vol 2024 Aug;29(4):343-349, stellvertretend für zahlreiche vorherige Beiträge) suggerieren einen funktionellen Vorteil des primären endoprothetischen Ersatzes. Allerdings sind die Stichprobengrößen aller verfügbaren, insbesondere randomisierten, Studien gering, und auch die verschiedenen Interventionen sind nur schwer miteinander vergleichbar.
Im Einklang mit dem PICOT-Schema wurde die Frage gestellt, ob bei Patientinnen und Patienten mit Mason-Typ-III-Frakturen und ≥3 Fragmenten nach ORIF (mittels Mini-Schrauben [SpeedTip] bzw. winkelstabilen Platten [TriLock], Medartis, Schweiz) oder Endoprothese (MoPyC, Tornier, Frankreich) Unterschiede in funktionellen Outcomes und Komplikationsraten zu beobachten sind, ohne a priori von der Überlegenheit oder Nicht-Unterlegenheit einer der Therapieoptionen auszugehen.


Studiendesign und Resultate

Zwischen März 2010 und März 2021 wurden 177 Patientinnen und Patienten mit Radiuskopffrakturen des Typs Mason III in der BG Unfallklinik Frankfurt behandelt. Von diesen standen 2 x 42 Betroffene nach Propensity-Score-Matching zur Kontrolle für etwaige Imbalancen im Basisprofil (Alter, Geschlecht, BMI, Verletzungstyp, Anzahl der Frakturfragmente, ligamentäre Verletzung, offener Bruch) für die Auswertung zur Verfügung.
Eingeschlossen wurden 44 Frauen und 40 Männer mit einem mittleren Alter von 53 ± 13 Jahren. Von diesen boten 66 (79 %) eine „Terrible Triad“ (eine posteriore Ellenbogenluxation mit gleichzeitiger Fraktur des Radiuskopfes und des Processus coronoideus). Offene Brüche waren in jedem zehnten Fall festzustellen. Rekonstruktionen des lateralen und medialen Kollateralbandes wurden bei 56 (67 %) und 35 (42 %) Eingriffen erforderlich.
Nach einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von 4,1 (Spanne, 2,0 bis 9,5) Jahren wurde ein deutlicher funktioneller Vorteil nach ORIF beobachtet. Die Differenzen im Bewegungsumfang in Extension / Flexion und Pronation / Supination betrugen 13° (95 % KI 4 – 22°) bzw. 11° (95 % KI 3 – 24°) zugunsten der ORIF. Gleichgerichtete Unterschiede im Mayo Elbow Performance Score, Oxford Elbow Score, und Disability of the Arm, Shoulder and Hand (DASH) betrugen 12,1 (95 % KI 4,7 – 19,5), 7,5 (95 % KI 3,0 – 12,0) und 11,4 (2,3 – 20,4) Punkte. Diese entsprechen der minimal-relevanten klinischen Differenz (MCID) und dürfen als relevant angesehen werden.
Neben allen Komplikationen (Endoprothese 23,8 %, ORIF 26,2 %) und Revisionen (Endoprothese 21,4 %, ORIF 23,8 %) standen auch eingriffsspezifische Ereignisse wie Endoprothesenlockerung und -dislokation (9,5 %, 95 % KI 2,7 – 22,6 %) bzw. Non-Union nach ORIF (16,7 %, 95 % KI 7,0 – 31,4 %)
im Gleichgewicht.


Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken

Die Beobachtungen aus dieser Untersuchung stützen, im Gegensatz zur bisherigen Evidenz, die Annahme eines funktionellen Vorteils einer Osteosynthese gegenüber dem endoprothetischen Ersatz bei Radiuskopffrakturen des Typs Mason-III und höher. Neben der Bedeutung für die Aufklärung von Betroffenen und datenbasierten Therapiewahl schaffen die Ergebnisse auch die Grundlage für eine mögliche multizentrische randomisierte Studie, welche robuste und eindeutige Aussagen über beide Therapieoptionen liefern sollte.