Soldat in einer Gesprächs- und Behandlungssituation

„Trauma verstehen, Vertrauen aufbauen, Perspektiven schaffen“

Interview mit Rainer-Christian Weber zu posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) 

Was bedeutet PTBS eigentlich genau? Wie sieht eine spezialisierte Therapie aus und was brauchen besonders belastete Gruppen wie Soldatinnen und Soldaten? 

Darüber haben wir mit Rainer-Christian Weber, leitender Oberarzt im Zentrum für Psychotraumatologie an der BG Klinik Bad Reichenhall, gesprochen. 

Rainer-Christian Weber
Rainer-Christian Weber

Leitender Arzt Zentrum für Psycho­traumatologie
BG Klinik Bad Reichenhall

Was ist eine post­traumatische Belastungsstörung?

Eine post­traumatische Belastungs­störung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die durch eines oder mehrere außergewöhnlich belastende Ereignisse ausgelöst wird. Das können Unfälle, Natur­katastrophen, Berufsunfälle oder auch gezielte Gewalt­handlungen sein, also Situationen, in denen sich Menschen als ausgeliefert, hilflos und „ohnmächtig“ empfinden. Die Erkrankung zeigt sich unter anderem durch Flashbacks, ungewollt wiedererlebte Erinnerungen an das Trauma, Albträume, Vermeidungsverhalten und eine ständige innere Alarm­bereitschaft.

„Der Patient befindet sich in einer ‚Hab-Acht-Stellung‘, weil er unbewusst erneut auftretende traumatisierende Ereignisse befürchtet.“

Besonders prägend ist das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, verbunden mit dem Versuch, alles zu vermeiden, was an das Erlebte erinnert. Auch weitere Symptome wie Schlaf­störungen, Reizbarkeit oder Panik­attacken treten häufig auf. Eine PTBS kann sich oft erst Wochen oder sogar Monate nach dem eigentlichen Trauma entwickeln.

Mit welchen Therapien helfen Sie Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung?  

In der BG Klinik Bad Reichenhall arbeiten wir nach dem Drei-Phasen-Modell der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT). Am Anfang steht die Stabilisierungs­phase. In dieser Phase geht es darum Patientinnen und Patienten psychisch zu stärken, sodass sie die weiteren Therapie­angebote gut bewältigen können. Danach folgt die Konfrontations­phase, in der das Trauma bearbeitet und in das sogenannte biographische Gedächtnis überführt wird. In der letzten Phase, der Reintegrations­phase, unterstützen wir die Patientinnen und Patienten dabei, neue Perspektiven zu entwickeln und wieder Lebens­qualität zu erlangen.

Zum Einsatz kommen dabei Einzel- und Gruppen­therapien, Körper- und Bewegungs­therapien sowie kreative und ressourcen­orientierte Ansätze. Das Besondere: Alle psychologischen Bezugs­therapeutinnen und Bezugs­therapeuten sind spezifisch trauma­therapeutisch ausgebildet.

Wir verfolgen kein vorgefertigtes, starres Konzept, sondern gehen auf den einzelnen Patienten mit all seinen biographisch bedingten Vorerfahrungen und bisher erfolgreichen Problem­lösungs­strategien individuell ein. Vor diesem Hintergrund versuchen wir aus all den bestehenden trauma­therapeutischen Herangehens­weisen die für die Patientinnen und Patienten geeignetsten auszuwählen und umzusetzen.  

Die Rückkehr in Arbeit und Alltag ist oft ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Genesung. Welche konkreten Angebote zur beruflichen und sozialen Reintegration machen Sie in Ihrer Klinik?

Die berufliche und soziale Wieder­eingliederung ist für viele PTBS-Betroffene eine große Herausforderung und zugleich ein zentrales Therapieziel. Schon während des Klinik­aufenthaltes wird deshalb die Zeit nach der Entlassung konkret vorbereitet. Es werden Perspektiven für Alltag, Arbeit und soziale Beziehungen entwickelt. Auch mögliche Rückschläge oder Krisen werden antizipiert und passende Strategien eingeübt.  

Ein strukturierter Plan für die ersten Tage zuhause hilft, Orientierung zu schaffen. Bei Bedarf wird ein individueller Wieder­eingliederungs­plan erstellt oder die Anbindung an Berufsfindungs­einrichtungen vorbereitet. Begleitet wird dieser Prozess durch enge Zusammenarbeit mit Reha-Managerinnen und -manager und weiterbehandelnden Therapeutinnen und Therapeuten.

Viele Soldatinnen und Soldaten kehren oft mit ganz besonderen, einsatz­bedingten Belastungen zurück. Was macht die Behandlung von einsatz­bedingten Trauma­folge­störungen bei Bundeswehr­angehörigen besonders herausfordernd?

Grundsätzlich unterscheidet sich die therapeutische Herangehensweise bei militärischen und zivilen Patientinnen und Patienten nicht – doch die Rahmen­bedingungen schon. Soldatinnen und Soldaten erleben häufig über Wochen oder Monate hinweg eine Vielzahl belastender Ereignisse, oft in Gefechts­situationen oder Auslands­einsätzen. Dadurch entwickelt sich häufiger eine sogenannte komplexe PTBS, die ein besonders fein abgestimmtes therapeutisches Vorgehen erfordert.

Ein weiterer Aspekt: Die militärisch geprägte Kommunikation und Denkweise verändert auch die therapeutische Beziehung. Bewusste und unbewusste zwischen­menschliche Dynamiken müssen sensibel aufgegriffen und integriert werden. Das verlangt ein hohes Maß an Verständnis und Erfahrung aufseiten des Behandlungs­teams.

Wie genau profitieren die Soldatinnen und Soldaten von der engen Zusammenarbeit zwischen Ihrer Klinik und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr, insbesondere hier am Standort?

Die Klinik in Bad Reichenhall arbeitet seit Jahren eng mit dem Bundeswehr­krankenhaus Ulm und der nahegelegenen Hochstaufen-Kaserne zusammen. Diese Kooperation ermöglicht einen tiefen Einblick in militärische Abläufe und den gezielten Wissenstransfer. So können Therapien realitätsnah angepasst werden, zum Beispiel durch begleitete Expositions­übungen im militärischen Umfeld. Hierzu können uns in enger Absprache verschiedene Möglichkeiten wie Räumlichkeiten aber auch der Kontakt zu Kameraden kurzfristig zugänglich gemacht werden.

Diese sogenannte „Exposition in vivo“ ist für viele betroffene Soldatinnen und Soldaten ein entscheidender Therapieschritt. Gleichzeitig wird so der Übergang zurück in militärische Strukturen gezielt vorbereitet – mit therapeutischer Begleitung und Rückhalt.

Gibt es eine Geschichte, die Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, denn für uns ist jede und jeder Betroffene ein ganz einzigartiger Mensch. Zunächst versuchen wir, uns auf die Lebensgeschichte des Einzelnen einzulassen und diesen in all seinen Persönlichkeits­ausprägungen und eingetretenen Lebens­ereignissen zu verstehen.  

Mit diesem Wissen durchwandern wir gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten und in angemessener Weise das traumatisierende Ereignis erneut. Erst machen wir den Umgang damit erträglich, um anschließend gemeinsam an Perspektiven für die Zukunft zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund bleibt eigentlich jede Geschichte in ganz besonderer, „einzigartiger“ Erinnerung.

Dies ist eine sehr schöne und sehr erfüllende Aufgabe. 


Sie wollen mehr erfahren? Hier geht's zur Website des Zentrums für Psychotraumatologie in Bad Reichenhall.