
Hände hoch, hier kommt die Therapie
Vom Test zum Therapieerfolg: Wie die BG Kliniken wichtige Erfahrungen mit dem Einsatz von Virtual Reality-Technologie in der Rehabilitation machen.
Arbeitsunfall. Klinikum. Reha. Eine Szene, die Therapeutinnen und Therapeuten am BG Klinikum Duisburg aktuell beim Einsatz von Virtual Reality (VR) erleben: Ein Patient hat seit einem schweren Unfall Probleme, seinen linken Arm zu heben. Seine Reha-Fortschritte verlaufen langsam und seine Motivation bei den Übungen lässt langsam nach. Doch heute erlebt er etwas Neues: Mit aufgesetzter VR-Brille findet er sich am Strand wieder und greift mit beiden Händen nach oben zu einem leuchtenden Ball. Er strahlt. Freude. Hoffnung. Was für den Patienten zunächst ein spielerisches Erlebnis ist, ist für Therapeutinnen und Therapeuten eine gezielte Übung, um die Motorik seines verletzten Arms zu fördern.
Die BG Kliniken, medizinische Leistungserbringer der gesetzlichen Unfallversicherung mit 13 Standorten von Hamburg bis Bayern und jährlich mehr als 570.000 Patientinnen und Patienten, forcieren aktuell an mehreren ihrer Einrichtungen den Einsatz von Virtual-Reality-Technologie in der Therapie. Virtual Reality bezeichnet eine computergenerierte, interaktive Umgebung, in die Anwender mithilfe spezieller Brillen mit eingebautem Bildschirm eintauchen können. Dadurch entsteht eine realistische Wahrnehmung künstlicher Welten, die in der Therapie gezielt zur Behandlung, Rehabilitation oder Ablenkung von Schmerzen eingesetzt werden kann.
Das Projekt befindet sich noch in einer intensiven Markterkundungsphase. Ziel ist es, innovative Therapiemöglichkeiten auszuloten und neue Wege in der Patientenbehandlung zu gestalten. Als digitale Lösung bietet die Technologie große Chancen. Das Potenzial ist enorm – deshalb steht die Evaluierung der Wirksamkeit und Akzeptanz von VR in der Rehabilitation im Mittelpunkt.
Neue Wege für Patientinnen und Patienten
Die BG Kliniken beschäftigen sich bereits seit mehreren Jahren an ausgewählten Standorten mit dem Potenzial von VR. Schon vor der Corona-Pandemie starteten erste Tests mit spezialisierten Anbietern, um herauszufinden, ob Virtual Reality eine sinnvolle Ergänzung zur konventionellen Therapie sein könnte, einen Mehrwert bietet und langfristig in die Regelversorgung integriert werden kann.
Am Standort Duisburg verlief die Implementierung in den therapeutischen Alltag dabei überraschend reibungslos. Zwar hatten viele Therapeutinnen und Therapeuten bisher noch keine Erfahrungen mit VR-Brillen, aber praktische Workshops und strukturierte Schulungen von Anbietern sorgten für eine unkomplizierte Integration in den Klinikalltag. Die positive Resonanz der Patienten trug ebenfalls zu einer schnellen Akzeptanz und Interesse bei.

„Gerade für Patientinnen und Patienten, die durch lange Klinikaufenthalte eine Therapiemüdigkeit entwickeln, ist die VR-Therapie eine willkommene Abwechslung.“
Gesamtleitung Therapie BG Klinikum Duisburg
Von Schmerztherapie bis Neurologie
Besonders vielversprechend sind Anwendungen in der Schmerztherapie. Die real wirkende Umgebung lenkt Patienten von ihren Schmerzen ab. Durch die Ablenkung können sie oft Bewegungen ausführen, die sonst schmerzbedingt kaum möglich wären. Ähnlich beeindruckend sind die Erfolge bei neurologischen Erkrankungen: Durch den hohen Anreiz der VR-Programme gelingt es vielen Patienten, Bewegungsmuster wieder zu aktivieren, die ohne visuelle Stimulation nicht sichtbar wären.
Auch bei Patienten mit funktionellen Störungen, die Extremitäten scheinbar nicht gezielt bewegen können, bietet die VR-Therapie einen großen Effekt. Bewegungsstörungen ohne klaren Nachweis einer organischen Ursache sind vielfach schwer zu therapieren. Das Zusammenspiel von Körper und Psyche ist komplex. Die virtuelle Realität als Umgebung, die sich vollkommen aus dem therapeutischen Setting löst, ermöglicht den Patienten vielfach Bewegungspotentiale zu entdecken und diese auszubauen – ein entscheidender Schritt für die Rückkehr in das Leben und das Wiedererlangen von Bewegungen. Nicht alle VR-Angebote sind dabei Spiele. Zunehmend werden Anwendungen mit den Dienstleistern entwickelt, die den speziellen Anforderungen und Vorstellungen der berufsorientieren Therapie entsprechen.
Technisch flexibel, therapeutisch wirkungsvoll
Viele Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen sind sehr neugierig. Einige sind anfangs verständlicherweise skeptisch, lassen sich jedoch meist schnell auf das Experiment ein. Häufig berichten Patienten, dass sich die Therapieeinheiten weniger klinisch anfühlen, und das interaktive Element steigert ihre aktive Mitarbeit. Die Therapieeinheiten sind oft eine willkommene Abwechslung. Eine absolute Ablehnung kommt sehr selten vor. In Einzelfällen haben Patientinnen und Patienten Probleme mit Symptomen wie Motion Sickness, also Schwindel und Übelkeit. Durch technische Anpassungen und einem vorsichtigen Ausprobieren mit kurzen Übungsintervallen lassen sich diese Herausforderungen oft gut lösen.
Der Einstieg am BG Klinikum Duisburg gestaltete sich aus technischer Sicht unkompliziert und lokale räumliche oder bauliche Veränderungen sind selten nötig. Eine störungsfreie Nutzung ist durch feste Parameter definiert. Die Verfügbarkeit eines stabilen WLANs oder die korrekte Kalibrierung der Geräte sind erforderlich. In der Regel leisten die Anbieter schnelle Hilfe und Unterstützung bei Problemen. Ein besonderer Vorteil der verwendeten VR-Systeme ist ihre Mobilität und Flexibilität. Der Einsatz ist nicht auf feste Räume beschränkt. VR kann sogar direkt am Patientenbett eingesetzt werden. So profitieren auch immobilisierte oder bettlägerige Patientinnen und Patienten von der neuen Behandlungsmethode.
Auch am BG Klinikum Hamburg und der BG Unfallklinik Frankfurt kommt VR in der Rehabilitation zum Einsatz. Durch Immersion, das Gefühl, vollständig in eine virtuelle Umgebung einzutauchen, sodass sie vom Nutzer als besonders real erlebt wird, und Gamification wird die Therapie für die Patienten attraktiver gestaltet. Gamification ist die Anwendung spielerischer Elemente in einem nicht-spielerischen Kontext, der Therapie, um die Motivation zu steigern. Im BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin wurde mit der „ukb Brain Cloud 1.0“ sogar eigener Raum geschaffen. Dort werden VR- Brillen sowie Spielekonsolen für motorisch und kognitiv ausgerichtete Therapieanwendungen genutzt. Durch Gamification-Ansätze erleben die Patienten ihre Therapie als spielerische Herausforderung, was ihre Motivation und Therapieadhärenz deutlich erhöht.
Es zeichnet sich ab, dass Virtual Reality in der Praxis gut greift, aber nicht jede Patientengruppe profitiert vom Einsatz. Neben Patienten mit Motion Sickness profitieren beispielsweise Patientinnen und Patienten mit starken Gleichgewichtsstörungen, ausgeprägter Schwindelneigung, Epilepsie oder Sehbeeinträchtigungen ebenfalls nicht von den neuen Möglichkeiten.

„VR hat das Potenzial, therapeutische Prozesse nachhaltig positiv zu verändern.“
Chancen und Grenzen
VR hat das Potenzial, therapeutische Prozesse nachhaltig positiv zu verändern. Allerdings sollte dabei auch der wirtschaftliche Aspekt berücksichtigt werden. Die Anschaffung einer VR-Brille ist im Vergleich zu klassischen Therapiehilfsmitteln, wie beispielsweise einer Faszienrolle, deutlich kostenintensiver. Dennoch bietet die Technologie langfristig großes Potenzial bei den BG Kliniken, therapeutische Prozesse zu ergänzen und erfüllt den Anspruch, mit allen geeigneten Mitteln zu unterstützen.
Insbesondere in Situationen mit Engpässen können individuell abgestimmte Therapieprogramme weiter fortgeführt werden. Etwa bei Gruppenanwendungen könnte VR dazu beitragen, Ressourcen effizienter zu nutzen, ohne dabei die Qualität zu beeinträchtigen.
Wie geht es weiter?
Die bisher gesammelten Erfahrungen sind vielversprechend. Um die Wirksamkeit medizinisch fundiert nachweisen zu können, sind weitere Datenerhebungen und Auswertungen erforderlich. Derzeit wird dokumentiert, bei welchen Patientengruppen Virtual Reality besonders effektiv ist und welche therapeutischen Ziele sich damit am besten erreichen lassen.
Parallel dazu ist die Technologie selbst in der Entwicklung. In Zukunft könnten zusätzliche Funktionen, wie die Erfassung von Bewegungsdaten in Echtzeit, noch detailliertere Analysen ermöglichen und die Befundung verbessern. Auch die simultane Therapie von verschiedenen Patienten, an unterschiedlichen Orten, in einem virtuellen Raum wird eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten bieten, die es zu entdecken gilt. Virtual Reality stellt ein zentrales Thema in der Rehabilitation dar und ist für die Therapeutischen Direktorinnen und Direktoren und Gesamtleitungen der BG Kliniken von höchster Relevanz. Regelmäßige, standortübergreifende Treffen – auch mit ausgebildeten Digitaltherapeutinnen und -therapeuten – tragen diesem Umstand Rechnung und unterstützen den laufenden Prozess. Ein Ergebnis steht schon fest: Die VR-Technologie ersetzt keinesfalls die direkte Behandlung und Betreuung durch ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten, sondern ist und bleibt ein unterstützendes Therapiemittel.
Der Artikel ist zuerst in der Mai-Ausgabe von f&w erschienen.