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Hydroxychloroquin und Azithromycin

Ein Bericht aus US-amerikanischen Veteranen­kranken­häusern, wonach die Kombination aus Hydroxy­chloroquin und Azithromycin mit einer höheren Sterblichkeit bei COVID-19 assoziiert ist, sorgte in der wissen­schaftlichen Gemeinschaft für Besorgnis. Wir erklären, was hinter den Ergebnissen steckt.

Eine rück­schauende (retrospektive) Auswertung der Daten von 385 Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion, die zwischen dem 9. März und 11. April 2020 in US-amerikanischen Veterans Affairs (VA) Kliniken behandelt wurden, betrachtete die Häufigkeit einer Beatmung und die Rate von Entlassungen und Todesfällen in Abhängigkeit von einer Behandlung mit Hydroxy­chloroquin (97 Patienten) bzw. Hydroxy­chloroquin und Azithromycin (113 Patienten) im Vergleich zu einer Standard­behandlung allein (158 Patienten). Die Autoren schluss­folgerten, dass Hydroxy­chloroquin das Risiko für eine Beatmung nicht senken konnte und die Gesamt­sterblichkeit erhöhte.

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Dies erscheint auf den ersten Blick eingängig und offensichtlich zu sein. Nehmen Sie an, Sie lesen in der Zeitung, dass ein Patient mit SARS-CoV-2 durch eine bestimmte Behandlung geheilt wurde, und ein anderer Patient ohne diese Behandlung verstarb. Daraufhin würden Sie sich sicher für die Behandlung aussprechen. Wenn Sie aber nunmehr erfahren, dass es sich im Heilungsfall um eine 20-jährige Marathonläuferin ohne jegliche Vorerkrankungen, beim Verstorbenen aber um einen 80-jährigen, übergewichtigen Raucher mit Bluthochdruck und Diabetes mellitus handelte, würden Sie Ihre Entscheidung wohl überdenken müssen. Der Nutzen einer bestimmten Therapie kann nur dann objektiv beurteilt werden, wenn sich die Behandlungs- und Kontrollgruppen hinsichtlich Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Risikofaktoren usw. ähneln. Dies wird durch eine zufällige Zuteilung zu verschiedenen Therapieverfahren (Randomisierung) gewährleistet.

Im konkreten Fall bestand jedoch eine erhebliche Ungleichverteilung in den Ausgangsrisiken der verschiedenen Gruppen.

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Die Autoren wandten etablierte statistische Korrekturverfahren an, um die Ergebnisse für die Unterschiede zwischen den Gruppen zu korrigieren. Hierzu gehört u.a. das sogenannte „Propensity Score Matching“. Hierbei wird zunächst die Wahrscheinlichkeit bestimmt, warum, also auf der Basis welcher Faktoren, Patientinnen und Patienten entweder eine experimentelle oder Kontrollbehandlung erhielten. Ein Beispiel: Vielleicht entschieden sich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, einem älteren Raucher mit Asthma aufgrund seines erhöhten Risikos für einen schweren COVID-19-Verlauf, im Rahmen eines „compassionate use“ Programms vorsorglich Hydroxychloroquin und Azithromycin zu verabreichen. Patient(inn)en mit vergleichbarer Wahrscheinlichkeit, die eine oder andere Therapie zu erhalten, werden gepaart („gematcht“) und deren Behandlungsergebnisse in einem weiteren Analyseschritt mittels rechenintensiver Verfahren verglichen. Ziel derart aufwändiger Ansätze ist es immer, systematische Fehler zu minimieren und beobachtete Effekte von Verzerrungen zu bereinigen. Dies gelingt jedoch nicht immer. So ist es z.B. unerklärlich, warum die alleinige Therapie mit Hydroxychloroquin die zeitbezogene Wahrscheinlichkeit für eine Beatmung relativ um 43% erhöhen (sog. Hazard Ratio [HR], 1,43), in der Kombination mit Azithromycin aber um 57% (HR 0,43) senken sollte.

Tatsächlich gab es nicht nur drei, sondern vielmehr vier Therapiegruppen: 1. Hydroxychloroquin (97 Patienten), 2. Hydroxychloroquin + Azithromycin (113 Patienten), 3. Standardbehandlung + Azithromycin (50 Patienten) und 4. Standardbehandlung allein (108 Patienten). Die beiden letztgenannten Gruppen wurden jedoch nicht getrennt analysiert. Auch wurden weder die Dosierungen noch die Zeitdauer der Wirkstoffgaben genannt.

Fazit

Retrospektiv erhobene Anwendungsdaten über verschiedene medikamentöse Ansätze bei SARS-CoV-2-Infektionen bzw. COVID-19 führen in der momentanen Spannungslage eher zur Verwirrung als zur Aufklärung. Die US-amerikanische Studie aus dem sehr besonderen VA System ist nicht geeignet, um mögliche Effekte einer Therapie mit Hydroxychloroquin und Azithromycin oder deren Sicherheit zu widerlegen oder zu bestätigen. Hier bleiben die Ergebnisse aus SOLIDARITY, DISCOVERY u.a. randomisierter Studien abzuwarten.

Stand: 05.05.2020