Beatmung durch Elektrostimulation der Zwerchfellnerven

Für Menschen mit einer Querschnittlähmung, die auf eine Beatmung angewiesen sind, kann ein Phrenikusnervenstimulator (PNS), umgangssprachlich auch „Zwerchfellnervenschrittmacher“ genannt, eine wesentliche Verbesserung der medizinischen Situation und zugleich eine Erleichterung in den Aktivitäten des täglichen Lebens bieten. Tjalf Caesar gewann dank der Implantation vor über einem Jahr ein Stück Unabhängigkeit zurück.

Infos zur Pressemitteilung

18.02.2022

Pressekontakt

Christiane Keppeler

Leitung Unternehmens­kommunikation und Marketing
040 7306-1310040 7306-1706 E-Mail

Mit einem „Schrittmacher“ assoziieren viele Menschen den Herzschrittmacher. Doch auch das Zwerchfell kann mit elektrischen Impulsen über seine Nerven (Phrenikusnerven) stimuliert werden. Für Menschen mit einer Querschnittlähmung, die auf eine maschinelle Beatmung angewiesen sind, bietet der PNS eine neue Perspektive für den Alltag und ein großes Stück Lebensqualität. Damit der Eingriff gelingen kann, müssen der Zwerchfellnerv, seine ihn versorgenden Neurone auf Rückenmarks- und Gehirnebene sowie der Zwerchfellmuskel intakt sein. Søren Tiedemann, Atmungstherapeut (DGP) im BG Klinikum Hamburg (BGKH) und Sprecher des DMGP Arbeitskreises Beatmung: „Über eine Muskellücke im vorderen Halsbereich, die sog. Skalenuslücke, können wir über einen elektrischen Impuls testen, ob die o.g. Strukturen intakt, also noch stimulierbar sind. Führt also dieser Test zu einem positiven Ergebnis, kommt der Patient oder die Patientin für die Implantation eines Stimulators in Frage.“

Erfahrungsbericht von Tjalf Caesar

Im Querschnittgelähmten-Zentrum (QZ) des BG Klinikums Hamburg wurde vor etwa einem Jahr auch Tjalf Caesar ein solcher Stimulator eingesetzt. Tjalf verunglückte 2019 bei einem Eishockeyspiel und wird seitdem kontinuierlich vom Querschnittgelähmtenzentrum des BGKH betreut. Dank des PNS wurde er u.a. deutlich unabhängiger von intensivpflegerischen Maßnahmen: „Der Schrittmacher erleichtert es mir sehr, alles für die Uni zu erledigen, weil meine Sprache seitdem viel besser geworden ist. Ohne die vielen Schläuche ist auch der Transfer vom Bett in den Rollstuhl viel einfacher oder das Baden und Duschen. Ich konnte das erste Mal seit zwei Jahren wieder in der Ostsee baden. Das war echt ein unglaubliches Gefühl für mich und das wäre ohne den Schrittmacher auch nicht möglich gewesen.“

Auch seine Lebensgefährtin Svea freut sich über die gewonnenen Freiheiten: „Es bringt ganz viel Unabhängigkeit und Spontanität. Und was für mich das Beste ist, ich habe nicht mehr das Gefühl, ihn behandeln zu müssen wie ein rohes Ei, weil ich nicht mehr die Angst habe, durch eine unbedachte Bewegung einen Beatmungsschlauch rauszuziehen.“

Entwicklung und Vorteile des Schrittmachers

Die ersten Zwerchfellnervenstimulatoren wurden in den 1960er Jahren implantiert. Die verwendeten Modelle waren damals jedoch noch recht groß und sperrig. Priv.-Doz. Dr. Sven Hirschfeld, Leitender Arzt Beatmung im Querschnittgelähmten-Zentrum: „Im QZ wurde 1988 der erste Stimulator implantiert. Seitdem wurde der Eingriff hier bis heute 68-mal durchgeführt. Da weltweit seit den 1980er Jahren von diesem Modell bisher nur knapp 1000 implantiert wurden, wird ersichtlich, dass das BGKH zusammen mit Paris und Toledo das größte PNS-Zentrum zur Implantation und Nachbehandlung in Europa darstellt.

Gründe für diese verhältnismäßig niedrigen Zahlen sind einerseits die hohe Letalität dieser hohen Querschnittlähmungen unmittelbar bei Schadenseintritt aufgrund einer sofortigen Atemmuskelschwäche und andererseits die Tatsache, dass nur etwa ein Drittel aller Patient:innen überhaupt stimulabel sind. Zweidrittel dieser Patient:innen erleiden bei dem Schadenseintritt Läsionen an den oben beschriebenen Neuronen auf Rückenmarksebene und können somit kein System erhalten.

Ist aber eine Implantation möglich, bietet das System viele Vorteile gegenüber einer Beatmung über eine Trachealkanüle. Es treten bspw. signifikant weniger pulmonale Infektionen auf, Mobilisation und Transfer werden erleichtert, das Sprech-, Riech- und Schmeckvermögen verbessern sich und auch die Trachealkanülenwechsel werden weniger belastend für die Betroffenen und die Pflegenden.“

Einen detaillierten Einblick in die Funktionalität eines PNS geben Tjalf Caesar und Atmungstherapeut Søren Tiedemann auf dem YouTube-Kanal des BG Klinikums Hamburg.